Eisfahrt im Südsommer
Die Eisfahrt der PEKING im Südsommer 1927/28
Unter dem Kommando von Kapitän Hermann Piening hatte die PEKING Anfang August 1927 mit einer Ladung Stückgut im Bauch Hamburg mit dem Ziel Talcahuano/Chile verlassen. Die Ausreisen der Flying P-Liner erfolgten soweit möglich immer zwischen August und September, damit die schwierige west-gehende Umrundung der Südspitze Südamerikas gegen die vorherrschenden Winde und Strömungen ins späte Frühjahr oder in den Sommer fiel, der auf der Südhalbkugel in die Zeit von Mitte November bis Ende Januar herrscht. Genau wie in unseren nördlichen Breiten gibt es dort unten am südlichen Ende der Welt im Sommer weniger und weniger heftige Stürme. Dafür drohen andere Gefahren.
„Eine der unheimlichsten Gefahren, die den Schiffen auf der Rückreise vom Stillen Ozean drohen, ist die Begegnung mit Eis, auf die man sich gefaßt machen muß, solange man im Stillen Ozean südlich von etwa 50° S-Br. und im Südatlantischen Ozean südlich von etwa 40° S-Br. steht." warnt das „Segelhandbuch für den Atlantischen Ozean".
Riesige Eisberge und zahllose kleinere Eisschollen lösen sich alljährlich im Südsommer von den Eisschelfen rund um den Antarktischen Kontinent ab. Sie treiben mit dem Antarktischen Zirkumpolarstrom durch die Drake-Straße südlich von Kap Horn und weiter rund um die Antarktis. In manchen Jahren ist es anders: große Felder mit Eisbergen und Treibeis schwimmen dann mit dem östlich von Kap Horn abzweigenden Malvinas-Strom nordostwärts an den Falkland Inseln (Malvinas) vorbei, um erst weit im Norden, wo sich der warme Brasilstrom mit dem kalten Malvinas-Strom vermischt, langsam zu schmelzen. Eines dieser Eisjahre war 1927/28.
Die Karte zeigt nicht nur die Eismeldungen verschiedener Schiffe in den Jahren 1926 bis 1928, sondern auch die Seglerwege im Südatlantik). Die Flying P-Liner, so auch die PEKING, hielten sich meist so nah wie möglich an diese Seglerwege, die von der Seewarte aus den eingereichten Meteorologischen Logbüchern der Schiffe herausgearbeiteten optimalen Kurse für Segelschiffe im jeweiligen Seegebiet zur jeweiligen Jahreszeit. Schiffe auf dem Weg rund um Kap Horn an die Westküsten Süd- oder Nordamerikas segelten am besten dicht an der argentinischen Küste entlang. Der Heimweg nach Europa oder Nordamerika verlief, bedingt durch Wind und Strömung, weiter östlich der Falkland-Inseln (Malvinas), genau im Malvinas-Strom, der Straße der Eisberge.
Vorwarnung
Die noch vorhandenen meteorologischen Logbücher der PEKING erzählen die Geschichte.
Anfang Oktober 1927, fast genau zwei Monate nach dem Verlassen des Heimathafens, segelte die PEKING mit Südkurs, querab der Halbinsel Valdez an der argentinischen Küste, ziemlich genau halbwegs zwischen dem Rio de la Plata und Kap Horn, auf 43 Grad südlicher Breite - dort, wo die Sturmzone rund um Kap Horn beginnt. Für ein südgehendes Schiff war sie jedoch ungewöhnlich weit von der Küste entfernt.
„Großer Eisberg, ca. 120m hoch, 260 m lang, auf 43˚36´S 57˚45´W, Abstand vom Schiff querab ca. 7 sm." - so der Eintrag der Nachmittagswache in das meteorologische Logbuch der PEKING am 4. Oktober 1927. Sieben Seemeilen – knapp 13 Kilometer – sind nicht viel für ein Schiff, das bei gutem Wind locker 12 bis 15 Knoten erreicht, also 22 bis 28 Kilometer in der Stunde zurücklegt, aber wenigstens war es nicht mehr neblig, so wie am Morgen.
Während der Hundewache von Mitternacht bis vier Uhr morgens passierte es dann noch einmal: „Eisberg an st.b., Abstand 3 sm, kleinerer Eisblock dicht beim Schiff. Klares Wetter", und einige Stunden später „Eisberge an B.B. in der Kimm." Danach gab es nur noch die für die ´Roaring Forties´ und ´Howling Fifties´ übliche Mischung aus Sturm und Flaute und am 24. Oktober 1927 schließt das Meteorologisch Logbuch mit dem lakonischen Eintrag „Ausreise beendet." Doch dieses Eisfeld war nur ein Vorbote, dessen, was die PEKING auf der Heimreise erwarten sollte.
Heimreise
Am 19. Dezember 1927 machte sich die PEKING, schwer beladen mit Salpeter, auf den langen Weg von Mejillones „nach d. engl. Kanal f.O." – so steht es im Logbuch, das heißt zum Ärmelkanal, um dort von der Signalstation in Falmouth Anweisungen betreffend des Entladehafens zu bekommen. Am Weihnachtsabend passierte sie die unsichtbare Grenze von 50 ˚S, wo die Umsegelung des „Kaps der Stürme" beginnt. Am Neujahrsabend, nach 8 Tagen, war es geschafft. Die Viermastbark überquerte wieder den fünfzigsten südlichen Breitengrad, aber diesmal auf der Ostseite Südamerikas. Kapitän und Mannschaft nahmen mit einiger Berechtigung an, dass sie jetzt den schlimmsten Teil der Reise hinter sich hätten, zumindest bis sie den Nordatlantik erreichten. Es sollte aber ganz anders kommen.
Am 2. Januar 1928, trägt die Morgenwache ins Meteorologische Logbuch ein: „Schönes Wetter. Langsam abnehmender Wind. Sichten 2 Eisberge im Abstand 4 und 8sm von St.B.".
„Ausguck ins Vorroyal-Top!" und „Alle Mann - Stand By!"
Diese Segelschiffe hatten weder eine Maschine, noch Decksbeleuchtung, starke Scheinwerfer auf der Brücke oder Radaranlagen wie die heutigen Schiffe. Nachts oder bei unsichtigem Wetter sah man einen Eisberg erst ganz nah beim Schiff.
Eine Viermastbark aufzustoppen dauert bestenfalls eine halbe Stunde vom Alarm bis die Fahrt aus dem Schiff ist und es bewegungslos im Wasser liegt, Halsen oder Wenden mindestens eine Viertelstunde - unter optimalen Bedingungen mit einer gut eingespielten Mannschaft. Für einen stählernen Windjammer, der leicht 10-15 Knoten (19 bis 28 Km/h) läuft, ist ein Eisberg in nur 4 Seemeilen (7,5 km) Abstand vor Steuerbord-Bug daher eine ernstzunehmende Gefahr. Mindestens genauso gefährlich ist es, bei Flaute einem in der Strömung treibenden Eisberg zu begegnen, dem man nicht ausweichen kann.
Nachmittags wird es noch enger: „Passieren größeren Eisberg luvart in ca. 500m Abstand. ..."
Kapitän Piening war vorgewarnt durch die bereits auf der Hinfahrt gesichteten Eisberge. Er ordnete sofort die Stationierung eines zusätzlichen Ausgucks auf dem Vorroyal-Top an, hoch oben, gut 50 Meter über der Wasseroberfläche.
Am Morgen des 3. Januar sichtete man wieder Eisberge: „07.00 Großer Eisberg st.b. ... ... ca. 10 sm". Das Wetter ist klar, die See ruhig, nachts merkt der Wachoffizier an „Starker Sternschnuppenfall", und, wiederum: „großer Eisberg an st.b.". Die PEKING war genau in die Eisbergtrift gelaufen.
Am 5.1.1928 dann: „Auf 40˚29´S und 59˚16´W grösserer Eisberg, Abstand ca. 10 sm. Viele Wale beim Schiff."
Kapitän Piening befahl „Stand By" für die gesamte Mannschaft, das heißt, die gesamte Mannschaft musste sofort für Segelmanöver einsatzbereit sein.
Er wusste, dass die zum Ausweichen erforderlichen ständigen Kursänderungen ihn selbst, seine Offiziere und die Mannschaft in den nächsten Tagen nicht zur Ruhe kommen lassen würden. In solcher Lage war selbst der Smut in der Kombüse rund um die Uhr beschäftigt. Er musste für die bald übermüdeten Männer jederzeit heißen Kaffee und Suppe bereithalten. Wenn die Freiwache überhaupt in die Koje kam, zogen die Männer höchstens die Seestiefel aus, meistens dösten sie gleich an Deck, an irgendeiner windgeschützten Stelle. Die meisten Kapitäne verbrachten den ganzen Tag an Deck, nachts legten sie sich nur für ein paar Minuten auf das Kanapee im Kartenhaus.
Diese Vorsichtsmaßnahmen waren mehr als berechtigt, denn ab dem 6. Januar kam es dann richtig dick. Das meteorologische Logbuch berichtet:
6.1.1928: Früh - „56 grosse Eisberge und viele kleinere, zählen um 12˚˚ insgesamt ca. 120 große Eisberge und Mengen kleinerer Eisschollen. Schönes klares Wetter. Fortgesetzte Wasser- und Luftmessungen ergaben keine Änderung. Segeln während der ganzen Woche zwischen Eisbergen, häufige Kursänderungen erforderlich. Zählten um 3h 96 grössere Berge, die gleichzeitig sichtbar waren."
Abends – „Schönes klares Wetter. 8˚˚ Ein Eisberg an B.B. 10 sm ab."
Nachts – „Schönes klares Wetter, auffrischender Wind. Passierten noch 3 grössere Eisberge, scheinbar die letzten der großen Trift." – Da hatte sich der Steuermann verschätzt...
7.1.1928: Früh – „Mässige Brise, klares Wetter, Eisberg von B.B."
Mittags – Position 38˚2´S 35˚30´W „Abflauender Wind, schönes Wetter, passieren 3 Eisberge."
Das sollten endgültig die letzten Eisberge sein, die die PEKING auf dieser Reise sichtete. Die Gefahr war vorbei und auf der Viermastbark kehrte wieder die übliche Routine einer Segelschiffsreise ein.
Selbst erinnere ich mich nur allzu gut an das mulmige Gefühl, das mich jedes Mal überkam, wenn ich mit einem Schiff durch Eisfelder fuhr – an das Knirschen der Schollen entlang des Rumpfes, das im ganzen Schiff widerhallte, an die riesigen Eisberge der Antarktis und die kleineren der Arktis. Alle diese Schiffe waren mit starken Maschinen und modernem Radar ausgerüstet, auch die Viermastbark KRUZENSHTERN (ex PADUA), eine Halbschwester der PEKING. Die anderen waren speziell für die Fahrt im Eis gebaute Forschungsschiffe – kein Vergleich mit der PEKING 1927/28, die keine Maschine hatte, kein Radar, eine sehr rudimentäre Funkanlage und nur zwei Kollisionsschotten, hinter der Vorpiek und vor der Achterpiek. Wäre die PEKING nachts mit einem Eisberg kollidiert, hätte es vermutlich ihr Ende bedeutet.
Sie wäre nicht das erste Segelschiff gewesen, das den Eisbergen zum Opfer fiel, und auch nicht das letzte. Das war vermutlich die deutsche Viermastbark ADMIRAL KARPFANGER, frachtfahrendes Segelschulschiff des Norddeutschen Lloyd, die im Frühjahr 1938 auf der Heimreise von Australien auf Nimmerwiedersehen verschwunden war. Nur einige Trümmer, die ein argentinisches Suchschiff viel später auf den Wollaston-Inseln im Kap Horn-Gebiet fand, blieben von ihr übrig.
Christine Hieber
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Quellenangaben:
Meteorologische Logbücher: https://www.dwd.de/DE/leistungen/metschiffsjournale/metschiffsjournale.html (Die Rechtschreibung in den Logbüchern wurde in den Zitaten beibehalten.)
Strömungskarte Südwest-Atlantik: Map-of-the-Argentinean-continental-shelf-with-the-warm-poleward-flowing-Brazil-Current_researchgate.net
Eiskarte aus W. Kozian: „Die großen Eistriften im südwestlichen Teil des Südatlantiks und vor Kap Hoorn", veröffentlicht in der Zeitschrift „Dt. Schiffahrtsarchiv" 17, 1994, S. 87.
Text und Fotos: © Autor